Geschichte der Medarduskirche – ein Ort von Stein, Licht und Geschichten
Ein Scrollytelling-Rundgang durch mehr als 800 Jahre: von der romanischen Pfeilerbasilika über Krieg und Wiederaufbau bis zu den leuchtenden Glasfenstern von Erhardt Klonk.
Ein Kirchendoppel im Herzen der Stadt
Wer vor der Medarduskirche steht, sieht mehr als „nur“ ein Gotteshaus. Hier begegnen sich zwei Kirchen, zwei Konfessionen – und ein Ort, an dem Geschichte und Gegenwart dicht beieinander liegen.
Die evangelische Medarduskirche und die katholische St.-Medardus-Kirche bilden ein denkmalgeschütztes Ensemble mitten in Bendorf. Die Gebäude berühren sich, der Kirchhof verbindet sie, und wer mit offenen Augen unterwegs ist, bemerkt: Zwischen beiden Kirchen verläuft nicht nur eine Mauer, sondern auch eine ökumenische Wegspur.
Vom Platz her eröffnet sich der Blick auf die unterschiedlichen Bauformen: die ältere romanische Substanz auf der einen Seite, der nach dem Krieg neu gestaltete evangelische Kirchenraum auf der anderen. Zusammen erzählen sie von Brüchen und Neubeginn, von Trennung und wiedergefundenem Miteinander.
Zwei Kirchen, ein Patron – und dazwischen das Leben einer Stadt, die mit diesem Ort gewachsen ist.
Sachinfo: Die Medarduskirche ist seit dem Jahr 1204 urkundlich belegt. Heute steht der gesamte Gebäudekomplex unter Denkmalschutz und gehört zum historischen Kern Bendorfs.
Romanische Wurzeln – die Kirche von 1204
Am Anfang stand eine romanische Pfeilerbasilika. Schlicht, massiv und licht zugleich – gebaut, damit Menschen Gottes Nähe in einem geschützten Raum erfahren können.
Die Ursprünge der Medarduskirche reichen bis ins frühe 13. Jahrhundert zurück. Um 1204 entstand hier eine dreischiffige Basilika mit quadratischem Chor und halbrunder Apsis. Rundbogenfenster ließen das Tageslicht gebündelt in den Raum fallen – nicht als Showeffekt, sondern als stillen Hinweis auf Gottes Gegenwart.
Später wurden unter Putz und Farbe Wandmalereien freigelegt, die von Anfang an Teil der Gestaltung waren. Sie zeigen, dass die Kirche nie nur „Versammlungsraum“ war, sondern eine theologisch durchdachte Bilderpredigt: Mauern, Farben und Proportionen erzählen von Gott, noch bevor ein einziges Wort gepredigt ist.
Stein, Putz und Malerei – alles verweist auf den, der „Wohnung bei den Menschen“ nehmen will.
Sachinfo: Typisch romanisch sind Rundbogen, dicke Mauern und eine klare, ruhige Gliederung. In Bendorf wurde der Bau im Lauf der Jahrhunderte mehrfach verändert und u. a. der Obergaden erhöht.
Reformation, Spannungen – und ein geteilter Ort
Mit der Reformation änderte sich auch in Bendorf die kirchliche Landschaft. Aus „der“ Kirche wurde Schritt für Schritt ein geteilter Raum – mit allen Spannungen und Chancen, die dazu gehören.
Über Generationen hinweg diente die Medarduskirche sowohl evangelischen als auch katholischen Christen. Streit um Nutzungsrechte, Zeiten, Räume und Zuständigkeiten prägte die gemeinsame Geschichte. Was theologisch trennte, lag manchmal buchstäblich nur eine Mauerstärke voneinander entfernt.
Das an die Südwand angelehnte Reichardsmünster wurde nach der Reformation Gottesdienstort der katholischen Gemeinde und später in eine größere neuromanische Kirche einbezogen. So entstand das heutige Doppel-Ensemble: zwei Gebetsräume, zwei Traditionen – und ein gemeinsamer Patron, Medardus.
Was lange Trennlinie war, wird heute zunehmend zur gemeinsamen Lernfläche für ökumenische Geschwisterlichkeit.
Sachinfo: Das Reichardsmünster stammt aus dem 13. Jahrhundert und gehört mit seiner Bauform zu den sogenannten ritterlichen Doppelkapellen. Die katholische Medarduskirche umgreift dieses ältere Bauteil bis heute.
Krieg, Zerstörung – und der Mut zum Neubeginn
Der Zweite Weltkrieg machte auch vor der Medarduskirche nicht halt. Die Bombennacht an Silvester 1944/45 markiert einen tiefen Bruch in der Geschichte des Ortes.
Mauern stürzten ein, das Dach brannte, Fenster zerplatzten. Für die Gemeinde war es mehr als ein materieller Schaden: Ein vertrauter Raum – Ort von Taufe, Konfirmation, Trauung und Trost – wurde zur Ruine. Viele Bendorferinnen und Bendorfer tragen bis heute Erinnerungen an diese Zeit in sich oder haben sie als Familiengeschichte weitergegeben bekommen.
Doch die Geschichte blieb nicht bei der Zerstörung stehen. In den 1950er-Jahren fiel die Entscheidung: Die evangelische Gemeinde baut neu – auf den alten Fundamenten. 1955, zehn Jahre nach Kriegsende, wurde der Grundstein für die neue Medarduskirche gelegt. Hoffnung bekam sichtbare Form, Stein für Stein.
Wiederaufbau heißt auch: Gott etwas zutrauen, gerade nach einer Zeit, in der so vieles zerbrochen ist.
Sachinfo: Der evangelische Kirchenraum wurde in den Jahren 1954–1956 neu errichtet. Teile des historischen Mauerwerks wurden einbezogen und tragen den Bau bis heute.
Lichtgeschichten – die Fenster von Erhardt Klonk
Beim Wiederaufbau sollte die Kirche nicht nur ein Dach bekommen, sondern eine neue Bildsprache. Mit den Glasfenstern von Erhardt Klonk erhielt der Raum ein leuchtendes Glaubensbekenntnis.
Der Marburger Glaskünstler Erhardt Klonk gestaltete die Fenster im Chor und im Kirchenschiff. Im Chor brechen klare, eher zurückhaltende Glasflächen das Licht in feinen Abstufungen. Im Schiff erzählt ein Fensterzyklus das Apostolische Glaubensbekenntnis – von Schöpfung und Flut über Geburt, Kreuz und Auferstehung bis hin zu Kirche, Vergebung und ewiger Zukunft.
In der Taufkapelle zeigt ein besonders eindrückliches Fenster das Gleichnis vom Sämann. Es verbindet die biblischen Bildwelten mit der konkreten Geschichte dieses Ortes: die erste Kirche von 1204, die Brandruine nach dem Krieg, der wiederaufgebaute Bau. So werden Gottes Wort und Bendorfer Geschichte in einem Bild miteinander verschränkt.
Wer diese Fenster betrachtet, liest keinen theologischen Aufsatz, sondern ein farbiges Evangelium aus Licht.
Sachinfo: Die Fenster sind aus mundgeblasenem Antikglas, mit Bleiruten gefasst und mit Schwarzlot gearbeitet. Die Taufkapelle trägt die Signatur des Künstlers.
Heute: Ein Haus aus Steinen, Geschichten und Gebeten
Die Medarduskirche ist kein Museum. Sie ist bis heute ein lebendiger Ort: für Gottesdienste, Konfis, Chöre, Andachten – und für Menschen, die einen Moment Stille suchen.
Hier werden Kinder getauft und Jugendliche konfirmiert, Paare gesegnet und Verstorbene der Gnade Gottes anvertraut. Die Glasfenster, der Klang der Orgel, das gemeinsame Singen: All das erzählt vom Glauben einer Gemeinde, die sich über Generationen hinweg an diesem Ort gesammelt hat.
Wer sich Zeit nimmt, spürt vielleicht etwas von den vielen Schichten, die hier zusammenkommen: vom Mut der Wiederaufbau-Generation, von der ökumenischen Annäherung der letzten Jahrzehnte und von der persönlichen Geschichte jedes einzelnen Menschen, der diese Kirche betritt.
So wird aus einem historischen Denkmal immer wieder neu ein Haus, in dem Gottes Gegenwart mitten im Alltag aufleuchtet – leise, aber beharrlich.
Vielleicht ist das die eigentliche Geschichte der Medarduskirche: dass sie ein Ort bleibt, an dem Vergangenheit, Gegenwart und Gottes Zukunft sich berühren.
Impuls: Beim nächsten Besuch – einfach einen Moment hinsetzen, atmen, schauen und ein stilles Gebet sprechen: „Gott, danke für diesen Ort und für deine Geschichte mit uns.“
Liebe Andrea –
ich freue mich sehr zu sehen, dass die Seite – dank Dir – noch lebt! Vielleicht sehen wir uns mal wieder im neuen Jahr, ich würde mich freuen! Herzlich, Claudia
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